Datenstrategie – digitale Flitterwochen für Politik und Wirtschaft?
![Foto von Guido Brinkel, Leiter Regulierungspolitik](../renderingassets/personas/guido-brinkel.jpg)
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Keine Strategie zu haben ist ein (zu) leicht von der Zunge gehender Vorwurf an die Politik. In Sachen Daten war er in Deutschland lange Zeit gleichwohl nicht ganz unberechtigt. In den diversen Anwendungsszenarien des Datenschutzrechts mit seinen Länderhoheiten, in politischen Ansätzen wie “Daten für alle” und in den nationalen 4.0-Strategien spielen Daten zwar immer eine „zentrale Rolle“; eine übergreifende Datenstrategie der Bundesregierung hat sich bislang hinter diesem digitalpolitischen Dickicht jedoch so erfolgreich versteckt wie der Wald hinter den sprichwörtlichen Bäumen.
Diesem Vorwurf ist die Bundesregierung im Januar mit der Veröffentlichung ihrer ersten Datenstrategie entgegengetreten. Einer der vielleicht bemerkenswertesten Aspekte an dieser Strategie ist das Referat, aus dem sie kommt – einem gallischen Dorf inmitten der zersplitterten netzpolitischen ministerialen Ländereien der Bundesregierung: Gruppe 621 im Bundeskanzleramt. Allein der damit zum Ausdruck kommende Anspruch, Datenpolitik als Grundsatzfrage zu begreifen - mit eben jenen soll sich das Referat qua Auftrag befassen - und horizontal zu gestalten verdient Aufmerksamkeit.
Was in den politischen Kritik-Ritualen nach der Veröffentlichung dagegen in der Menge der mehr als 240 Einzelmaßnahmen eher unterging: Ein nicht unerheblicher Teil der Datenstrategie zielt darauf, die Wirtschaft hierzulande überhaupt erstmal über die Schwelle in die digitalen Flitterwochen zu tragen. 90 Prozent aller Daten blieben noch immer ungenutzt, kritisierte Digitalstaatsministerin Dorothee Bär im Zuge der Vorstellung der Strategie. Nicht nur der Staat, sondern auch Unternehmen säßen auf einem wahren Datenschatz. Und der wird - solange er nicht gerade Bitcoin heißt - vom darauf sitzen allein nicht wertvoller.
Aus Wirtschaftssicht ist daher ein Blick in den Spiegel durchaus geboten – war „keine Datenstrategie haben“ vielleicht schon vorher gar kein Monopol der Politik? Der BDI hat sich dieser Frage in Zusammenarbeit mit dem IW Köln nun mit einer Studie genähert (Disclaimer: Microsoft hat diese Studie mitfinanziert). Gerade einmal 23% der befragten Unternehmen „suchen im Rahmen eines strategischen Prozesses regelmäßig nach neuen Datenquellen und Einsatzmöglichkeiten“. 45% der Unternehmen gaben gar an, gar keine Daten zur Optimierung von Produkten oder Geschäftsmodellen zu nutzen. Und gerade einmal 28 Prozent der Unternehmen bezeichnen sich selbst als „digital“ in Bezug auf das eigene Datenmanagement.
Müssen wir etwa einen Trend zu digitaler Enthaltsamkeit der deutschen Wirtschaft postulieren? Natürlich nicht. Zum einen ist das tatsächliche Bild differenzierter, als es aggregierte Zahlen suggerieren. Zum anderen wird man bei der Suche nach den Ursachen dieser Enthaltsamkeit nicht etwa bei digitalen Keuschheitsgelübden fündig. Die Gründe sind trivialer; auch das zeigt die Studie: 85% der befragten Unternehmen nennen „datenschutzrechtliche Grauzonen“ generell als Hemmnis bei der wirtschaftlichen Nutzung von Daten. Die fehlende Rechtssicherheit bei der Anonymisierung konkret stört 73 Prozent. Und als größtes Hemmnis bei der Nutzung von Daten wird die Sorge vor unautorisiertem Zugriff Dritter auf die Daten (knapp 91 %) genannt. Es sind also in erster Linie Ängste, die vor allem im deutschen Mittelstand abgebaut werden müssen. Ängste vor als unberechenbar empfundener Regulierung. Und Ängste vor unsichtbaren Angreifern.
Diese Analyse weist auch den Weg bei der Frage, welche Rolle Politik gestaltend einnehmen sollte. Über die Schwelle tragen heißt: Brücken bauen – am besten in gemeinsamen Projekten zwischen Staat und Wirtschaft. Unternehmen erwarten Rechtsicherheit und politische Unterstützung. Was eher weniger gut ankommt: zum vermeintlichen Glück gezwungen zu werden. 86 Prozent der befragten Unternehmen lehnen gesetzliche Datenteilungspflichten per se ab – unabhängig davon, ob solche Vorgaben nur marktbeherrschenden oder allen Unternehmen auferlegt werden würden.
Noch ist die Datenstrategie ein Papier; ihre Wirkung hängt von der Umsetzung ab. Das gallische Dorf im Kanzleramt allein wird diese nicht stemmen. Nach dem 26. September 2021 könnte sein Einfluss allerdings als Keimzelle eines Digitalministeriums ein gänzlich anderer sein. Für die strategische Nutzung von Daten – egal ob durch den Staat oder die Wirtschaft in Deutschland – wäre das nicht die schlechteste Option.
Zu diesem Thema diskutieren wir übrigens heute auch in der 8. Sitzung des KI-Expertenrates bei Microsoft Berlin.