Digitale Souveränität durch Partnerschaft: Wie Deutschland und Europa ihre Cloud-Zukunft selbstbestimmt gestalten können
![Foto von Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland](../renderingassets/personas/sabine-bendiek.jpg)
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Digitale Souveränität ist im Bundeskanzleramt angekommen.„Überall muss Europa wieder Souveränität entwickeln“, fordert Angela Merkel und verlangt eine technologische Aufholjagd – von der Chipherstellung über digitale Plattformwirtschaft und Datenmanagement bis zur Batterieproduktion. Aus Sicht von Microsoft ist es absolut zu begrüßen, dass dieses wichtige Thema immer mehr Bedeutung bekommt.
Die Zielrichtung ist so nachvollziehbar wie notwendig, wirft aber auch wichtige Fragen auf: Ist „digitale Souveränität“ eine politische Entscheidung? Inwieweit kann sie verordnet werden – und zu welchem Preis? Mein Eindruck ist, dass das Thema Digitale Souveränität aktuell auch von Mythen und Missverständnissen geprägt ist. Zeit, mit einigen aufzuräumen.
Das wahrscheinlich grundlegendste Missverständnis ist: Souveränität bedeutet, alles selbst zu machen. Viele Akteure reden über Souveränität – und meinen eigentlich Autarkie. Doch die hat auch Nachteile. Bitkom plädiert für ein anderes Souveränitätsverständnis: als Mittelweg zwischen Autarkie und Fremdbestimmung. In einer vernetzten Welt bedeutet Souveränität, im digitalen Raum jederzeit entscheidungs- und handlungsfähig zu sein. Und das unabhängig und selbstbestimmt. Der Unterschied ist in seinen Konsequenzen gewaltig – und der Grund, warum sich Microsoft vehement für digitale Souveränität einsetzt.
Die EU hat bewiesen, wie Staaten Spielregeln für den digitalen Raum setzen können
Was digitale Souveränität auf staatlicher Ebene bedeuten kann, hat die EU eindrucksvoll vorgemacht. Die DSGVO ist aus der globalen Perspektive von Microsoft eine souveräne Erfolgsgeschichte. Die EU hat gezeigt, dass sie in der Lage ist, Spielregeln für den digitalen Raum zu setzen. Microsoft war das erste Unternehmen, das die Grundrechte der DSGVO über die EU hinaus erweitert hat, so dass Nutzer auf der ganzen Welt davon profitieren können.
Und auch das Gesetz, das im Hinblick auf Souveränität die größten Ängste hervorruft, ist bei Lichte besehen ein Beispiel für die Gestaltungskraft des Staates: Der US CLOUD Act. Viele befürchten, dass dieses amerikanische Gesetz den USA schrankenlosenZugriff auf die Daten ausländischer Unternehmen erlaubt, selbst wenn diese auf Servern außerhalb der USA gespeichert sind. Doch auch hier gibt es viele Missverständnisse – und ein paar Hausaufgaben, die wir noch zu erledigen haben.
Tatsächlich gab es im Jahr 2018 wenige Anfragen von US-Strafverfolgungsbehörden an Microsoft, außerhalb der USA gespeicherte Cloud-Inhalte von Unternehmen zu übermitteln. Eine Datenfreigabe musste in einer sehr geringen Anzahl weltweit umgesetzt werden, wie in unserem Transparency Report nachzulesen ist. Und uns sollte klar sein: Solche Ermittlungsanfragen gibt es natürlich auch von deutschen und europäischen Ermittlungsbehörden. Das ist keine Besonderheit des US-Rechts.
Der CLOUD Act sieht zudem vor, dass die USA bilaterale Abkommen mit anderen Ländern schließen, um den internationalen Zugriff auf Daten bei der Verfolgung schwerer Straftaten zu regeln. Die EU verhandelt noch über entsprechende Regelungen mit den USA. Klar ist: Bei der Verfolgung von organisierter Kriminalität oder Terrorismus haben Behörden sowohl in den USA wie auch in Europa ein Interesse daran, Daten schnell zu erhalten. Europa möchte mit der e-Evidence-Verordnung Zugriff auf Daten bekommen, die bei US-Technologiefirmen gespeichert sind. Wir als Unternehmen befolgen die Regeln, auf die Staaten sich einigen. Aber wir beschließen sie nicht. Die Politik gestaltet die Rahmenbedingungen – sie ist hier der Souverän.
Warum Qualifikation der Schlüssel zu Souveränität ist
Was braucht es für ein Land wie Deutschland, um digitale Souveränität herzustellen? Auf jeden Fall mehr technologische Kompetenzen als nationale Grenzen. Wer eine Technologie nicht versteht, kann nicht selbstbestimmt mit ihr umgehen – ohne Wissen keine Souveränität.
Verwaltung wie Unternehmen suchen händeringend nach Digitalprofis, es fehlen mehr als 80.000 IT-Fachkräfte. Um solche Anforderungen zu meistern müssen Staat wie Unternehmen Voraussetzungen schaffen. Zum Beispiel, indem sie eine Kultur fördern, die Mitarbeiter kontinuierlich qualifiziert. Mit unseren Qualifizierungsangeboten leisten auch wir einen Beitrag zur digitalen Bildung in Deutschland.
Selbstverständlich braucht es für Souveränität auch eine leistungsfähige Infrastruktur. Auch dafür investieren wir in Deutschland. Beispielsweise mit unseren Cloud-Rechenzentrumsregionen in Deutschland. Wir bieten die Speicherung und Verarbeitung von Daten ausschließlich in Deutschland an und gehen damit auf die Souveränitätsanforderungen unserer Kunden ein. Wir haben unsere Cloud-Technologie so weiterentwickelt, dass wir in der Lage sind, auch hochsensible Sicherheitsanforderungen von Staaten zu erfüllen – zum Beispiel für Betreiber von kritischen Infrastrukturen oder Behörden, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Technisch sind wir in der Lage, für diese Kunden geschützte Clouds zu bauen. Also solche, bei denen wir selbst keinen Zugriff auf die Daten in der Cloud haben. Und bei denen auch die Plattform, auf der die Cloud läuft, nicht von außen von irgendwem abgeschaltet werden kann.
Wie Partnerschaften die Souveränität des Staates stärken
Bleibt die Frage: Warum braucht der Staat überhaupt Cloud-Infrastrukturen? Hier gilt es mit dem nächsten zentralen Missverständnis aufzuräumen. Es geht bei der Cloud um viel mehr als einen Online-Speicherort, auf den dann beispielsweise mehrere Mitarbeiter zugreifen und gemeinsam an Dokumenten arbeiten können. Intelligent Cloud ist der bessere Begriff. Weil er zeigt, wie wichtig die Cloud als Grundlage ist, auf der Innovationen in Bereichen wie Künstlicher Intelligenz, Cognitive Services oder IoT erst möglich werden.
Wenn Finanzbehörden mit KI Millionen von Transaktionen auswerten und auf Hinweise für Steuerbetrug analysieren möchten, kommen sie an der Cloud nicht vorbei. Smarte Energieversorgung, vernetzte Mobilität, ein digitales Gesundheitswesen – viele Innovationen sind ohne leistungsstarke Clouds nicht realisierbar. Gemeinsam mit dem Justizministerium NRW haben Microsoft und Partner ein solches Innovationsprojekt bereits gestartet, um gegen kinderpornografische Inhalte zu kämpfen.
Das zeigt: Es ist viel möglich, wenn politscher Wille und technologische Kompetenz zusammenkommen, gerade auch im öffentlichen Bereich. NRW-Justizminister Peter Biesenbach sagt, die Justiz wolle damit „das digitale Handlungsarsenal der Strafverfolger wirksam erweitern.“ Der Staat gewinnt an Handlungsfähigkeit – er wird souveräner.
Die Bundesregierung will mit Gaia-X die digitale Souveränität stärken. Sie will damit Unternehmen eine eigene, europäische Cloud-Infrastruktur zur Verfügung stellen. Noch wissen wir nicht genau, wie sie aussehen soll. Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn Deutschland und Europa ihre digitale Souveränität stärken wollen. Und wir sind bereit, sie mit unserem Wissen zu unterstützen. Wir glauben an das gewaltige Potenzial von Partnerschaften.
Souveränität für Unternehmen bedeutet auch Wettbewerbsfähigkeit
Die Industrie braucht die weltweit führenden Lösungen, um ihre führende Position verteidigen zu können. Denn: Digitale Souveränität bedeutet auch Wettbewerbsfähigkeit. Die Industrie muss in der Lage sein, souveräne digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln ohne Datenhoheit abzugeben. Siemens-Technikchef Roland Busch weist in der Souveränitätsfrage jedoch zugleich darauf hin: „Es muss auch wirtschaftlich sein, einen echten Nutzen für die Kunden haben. Meiner Meinung nach geht das nur, wenn wir kooperieren und Allianzen schmieden.“
Ein Beispiel aus der Automobilindustrie, der wichtigsten Branche in Deutschland: Volkswagen geht davon aus, dass die Autos der Zukunft vollvernetzte Software-Plattformen sein werden. CEO Herbert Diess sagt: „Hierfür brauchen wir bei Volkswagen Fähigkeiten, die wir heute noch nicht wirklich haben.“ Seine Automotive Cloud entwickelt Volkswagen deshalb gemeinsam mit Microsoft. Autonomes Fahren und künstliche Intelligenz, vernetzte Verkehrskonzepte und smarte Verkehrssteuerung – dazu braucht es Rechenpower und Anwendungen aus der Cloud. Das Geschäftsmodell aber bleibt bei VW, ob das Auto in Deutschland fährt, in China oder in den USA. Eine eingezäunte nationale Cloud dagegen hätte den Preis, Anforderungen global tätiger Unternehmen nicht gerecht werden zu können.
Wir als Unternehmen haben uns der Mission verschrieben, jede Person und jedes Unternehmen zu befähigen, mehr zu erreichen. Wir sind offen für Partnerschaften, um gemeinsam mit unseren Kunden mehr zu erreichen und ihre Handlungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Und damit ihre Souveränität.
Der Beitrag basiert auf der Keynote von Sabine Bendiek auf der Microsoft Explained am 28. Oktober 2019 in Berlin.