Nachhaltige Arbeit braucht Umwelt und Umfeld
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Unsere Deutschlandchefin Marianne Janik erklärt gemeinsam mit BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) wie Unternehmen durch nachhaltiges Denken die globalen Hürden in der Arbeitswelt meistern können.
Dieser Artikel erschien zuerst als Gastbeitrag im Tagesspiegel Background am 23. Juni 2022.
Wer sich über technologischen Wandel, digitale Kultur und die Zukunft der Arbeit Gedanken macht, für den kann ein Blick zurück in das Jahr 1880 überraschend erhellend sein. In jenem Jahr hat der Duden „nachhaltig“ ins Wörterbuch aufgenommen.
Ein aus der Forstwirtschaft kommender Begriff, der beschrieb, wie die Ressource Wald so bewirtschaftet werden kann, dass sie kontinuierlich und beständig genutzt wird. An diesem Kern hat sich trotz einiger Weiterentwicklungen des Begriffs nichts geändert: Es geht um eine Denkweise, die über den Tag hinausgeht.
Wer Holz schlägt, der erntet, was aus dem Werk seiner Großeltern geworden ist. Wer Bäume setzt, pflanzt sie nicht für sich, sondern für seine Enkelkinder. Wer nachhaltig denkt und handelt, hat die langfristigen Auswirkungen im Blick – und ja, auch langfristige Gewinne. Nachhaltigkeit bedeutete von Anfang an und nach wie vor, einen Rahmen zu schaffen, der langfristige Rentabilität ermöglicht, indem er die Voraussetzungen der eigenen unternehmerischen Aktivität schont und erhält. Nachhaltigkeit ist keine Ökoromantik, sondern die Grundlage für dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg.
Erhalten bedeutet nicht festhalten – sondern ständige Erneuerung
Aktuell stellt sich mehr denn je die Frage, was es für Unternehmen bedeutet, die Grundlagen des wirtschaftlichen Erfolgs dauerhaft zu erhalten. Wenn Nachhaltigkeit für Kontinuität und Beständigkeit steht, dann leben wir keineswegs in nachhaltigen Zeiten.
Globale Umbrüche, vom Klimawandel über Pandemien bis zu politischen Konflikten, zerren an den Grundannahmen, auf denen Unternehmen ihre wirtschaftliche Aktivität aufgebaut haben. Lieferketten sind gestört. Inflation wirft Kalkulationen über den Haufen. Fachkräfte sind immer schwieriger zu finden. Die digitale Transformation stellt Geschäftsmodelle in Frage. Die langfristigen Grundlagen des eigenen Erfolgs zu erhalten ist komplexer, als es zunächst klingt, und beinhaltet zahlreiche Faktoren. Wer solche Umwälzungen meistern will, darf Erhalten nicht als Festhalten verstehen.
Die Grundlagen des Erfolgs nachhaltig zu sichern bedeutet nicht die Verteidigung von Altem, sondern die Kultivierung eines fruchtbaren Bodens, auf dem immer wieder Neues wachsen kann. Für Unternehmen ist die Umwelt von Bedeutung, aber auch das Umfeld. Wie gestalten sie die Arbeit so, dass sie Talente anlocken können? Wie schaffen sie eine Atmosphäre, in der sich Beschäftigte wohlfühlen, in der sie körperlich und mental gesund bleiben, in der sie kreativ, innovativ und produktiv sein können? Ein Umfeld, in dem Mitarbeiter:innen immer wieder neue Ideen hervorbringen, umsetzen und damit die Grundlage für langfristigen Unternehmenserfolg bilden können? Und wie erhalten und transformieren wir die vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Sozialpartnerschaft – eine der Säulen unseres Wohlstandes seit mehr als 70 Jahren?
Die Zukunft der Arbeit zu gestalten wird zur existenziellen Frage: In Deutschland sind schon jetzt rund 1,74 Millionen Arbeitsplätze unbesetzt. Wenn weitere geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand gehen, wird sich die Lage noch verschärfen.
Hybride Arbeit als Fortschrittsmodell gelingt nur im Dialog
Die Coronavirus-Pandemie hat zahlreiche Veränderungen angestoßen und angeschoben. Zeitweilig wurde das Home Office zur gesetzlichen Vorgabe. Vor etwa 100 Tagen lief die Regelung aus, doch noch immer befinden wir uns in einem großen Realexperiment – nicht nur in Deutschland. Elon Musk sorgte mit der öffentlichen Ansage an Tesla-Beschäftigte, in die Büros zurückzukommen, international für Schlagzeilen.
Wie neue Konzepte aussehen und funktionieren, wie aus dem hybriden Arbeiten ein Fortschrittsmodell wird, ist noch nicht geklärt. Die Beschäftigten zeigen sich überwiegend offen: In einer Civey-Umfrage zur Future Work sagt fast die Hälfte der Befragten, dass die Arbeitswelt sich durch den Wandel zu hybriden Modellen verbessert hat. Nur ein Viertel sieht die Veränderung als Verschlechterung. Umgekehrt suchen viele Beschäftigte das Weite, wenn sie kein modernes Arbeitsumfeld vorfinden – in den USA hat sich „Big Quit“ als Begriff für die Rekordzahl an freiwilligen Kündigungen etabliert.
Und die nächste große Transformation der Arbeit zeichnet sich schon ab: Auf der Hannover Messe war das Industrial Metaverse eines der großen Themen. Damit wird das orts- und zeitunabhängige Arbeiten auch für Berufsgruppen möglich, deren physische Präsenz bisher unabdingbar war. Fernwartung, Mixed und Virtual Reality, Mensch-Maschine-Kollaboration in Fabriken: Diese Technologien sind verfügbar und kommen zunehmend zum Einsatz. Sogar das Schlagwort von der „Lights-Out-Factory“ machte die Runde, von der Fabrik, die keine Lampen mehr braucht – weil alle Beschäftigten von anderen Orten aus arbeiten.
Doch auch hier gilt: Zwischen Vision und Realität gilt es noch, eine ganze Menge auszuprobieren, anzupassen und auszuhandeln. Was am Ende wo funktioniert, muss getestet und herausgefunden werden. Solche Entwicklungen sind mit gesetzlichen Vorgaben nicht zu steuern. Deshalb braucht es vor allem den Dialog – auf politischer und gesellschaftlicher Ebene genauso wie in den Unternehmen selbst – um das optimale Umfeld zu schaffen. Wer das in den Blick nimmt, wird auch nachhaltig erfolgreich sein.