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Branche

Spielebasiertes Lernen: Spieleforscherin Natalie Denk im Interview

Spielebasiertes Lernen mit Minecraft. Ein Interview mit Spieleforscherin Natalie Denk

Game-based Learning gehört zu den Unterrichtsmethoden der Schule von morgen. Eine im Februar 2022 veröffentlichte Studie eines Forschungsteams der Uni Köln zeigt, dass die zukünftige Generation der Lehrkräfte, die sich momentan noch in der Ausbildung befindet, Computerspiele im Unterricht einsetzen möchte.

Natalie Denk, Spieleforscherin
Copyright: Michael Schoeppl

Wir haben mit einer Frau gesprochen, deren Aufgabe es ist, die Lehrenden von morgen auszubilden. Natalie Denk ist Leiterin des Zentrums für Angewandte Spieleforschung sowie der Universitätslehrgänge „Game Studies“, „MedienSpielPädagogik“, „Handlungsorientierte Medienpädagogik“ sowie „Game-based Media & Education“ an der Universität für Weiterbildung Krems. Sie weiß genau, welche Fähigkeiten der Schüler*innen durch Game-based Learning gefördert werden, welche didaktischen und pädagogischen Potenziale das Konzept birgt und für welche Altersgruppe und Fächer Minecraft im Unterricht geeignet ist.

Spieleforscherin Natalie Denk über den Einsatz von Minecraft, Motivation durch spielebasiertes Lernen und die Angst vor dem Unbekannten.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind spielebasiertes Lernen, pädagogisches Spieledesign und die Untersuchung von Alters- und Genderaspekten im Zusammenhang mit digitalen Spielen. Wie definieren Sie Game-based Learning?

Natalie Denk: „Ins Deutsche übersetzt, bedeutet der Begriff ‚Auf Spielen basierendes Lernen.‘ Im Grunde geht es bei Game-based Learning Ansätzen um die Frage, wie mit Spiel(en) Inhalte und Zugänge vermittelt, erlebbar und begreifbar gemacht werden können. Spiele bieten eine unglaubliche Fülle an möglichen Erfahrungsräumen und diese können Teil der pädagogischen Arbeit sein. Gleichzeitig sichere ich mir mit Game-based-Learning-Methoden die Aufmerksamkeit der Schüler*innen und steigere ihre Motivation. Im Zusammenhang mit Game-based Learning werden meistens digitale Spiele thematisiert. Ich würde hier keine scharfe Trennlinie zwischen analog und digital ziehen, aber die heutige Jugendkultur ist stark vom digitalen Spiel geprägt und dementsprechend bedeutend ist das digitale Spiel für die pädagogische Arbeit. Zu Game-based Learning gehört für mich übrigens auch die Auseinandersetzung mit Phänomenen, Potenzialen und Herausforderungen der Gaming-Kultur – auch über das reine Spielen von digitalen Spielen hinaus.“

Sie unterrichten die Lehrenden von morgen. Wie steht es aktuell um Game-based Learning an Schulen?

Natalie Denk: „Es wäre spannend, tiefgründig zu evaluieren, inwieweit Gaming tatsächlich in den Schulen angekommen ist. Ich kann nur aus meiner Erfahrung und Gesprächen mit Lehrkräften, meinen Student*innen und aus Forschungsprojekten sagen, dass Gaming an den meisten Schulen nach wie vor kein Thema ist. Klar, es werden Quizspiele und einfache Lernspiele gespielt, aber dann hört es auch schon auf. Dabei gibt es so wunderbare Möglichkeiten, Gaming methodisch im Unterricht einzubinden. Eine einfache, aber tatsächlich wenig beachtete Möglichkeit ist, über Gaming-Kultur im Unterricht zu sprechen.“

„Gaming-Kultur“ – ein großer Begriff. Wie kann ich als Lehrer*in das Thema konkret im Unterricht aufgreifen?

Natalie Denk: „Einen Anfang macht man, indem man Spiele im Unterricht thematisiert. Welche Faszination geht von Spielen aus? Warum spielen die Schüler*innen dieses oder jenes Spiel? Lehrer*innen können an Spielerfahrungen anknüpfen, Probleme und Herausforderungen thematisieren. Eines von vielen Themen könnte hier zum Beispiel die nach wie vor männlich dominierte Gaming-Kultur sein. Woran liegt das? Wie fühlen sich die Schüler*innen damit? Was können wir hier gemeinsam tun? Auch in der Berufsorientierung sollte die Gaming-Kultur fixer Bestandteil sein. Obwohl immer mehr junge Menschen davon träumen, E-Sportler*innen oder Streamer*innen zu werden, wird dies in der Schule kaum thematisiert.“

Das klingt so simpel und scheint doch so schwer. Woran liegt das?

Natalie Denk: „Viele Lehrende kennen das Medium Computerspiel noch nicht oder haben sich damit nur am Rande auseinandergesetzt. Vor einiger Zeit hielt ich ein Seminar zum Einsatz von Computerspielen im Deutschunterricht. Ich habe zahlreiche Spiele und Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt, doch das größte Aha-Erlebnis für die anwesenden Lehrkräfte und Studierenden war: ‚Jetzt wissen wir, dass es nicht nur Ego-Shooter gibt!‘. Für viele ist es einfach etwas ganz Neues. Hersteller wie Microsoft geben konkretes Unterrichtsmaterial an die Hand und zeigen, dass die methodische Integration von Spielen ganz einfach ist. Für den Anfang reicht es, Spielelemente herauszugreifen und klein anzufangen. Neben der Angst vor dem Unbekannten und neuen Ansätzen schwirren manchen aber vielleicht auch schon die Kommentare der Eltern im Kopf herum, die sagen, Computerspiele hätten im Unterricht nichts zu suchen.“

Was würden Sie diesen Eltern antworten? Welche Fähigkeiten der Schüler*innen lassen sich durch Game-based Learning fördern?

Natalie Denk: „Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass Game-based Learning im Unterricht mehr bedeutet, als einfach nur ein Spiel zu spielen. Im Zentrum von Game-based-Learning-Ansätzen steht für mich immer die pädagogische Methode. Es geht darum, eine Kontextualisierung zu schaffen und Reflexion anzustoßen, wobei die Rolle der Lehrkraft ganz entscheidend ist. Welchen Transfer kann man leisten? In einem Spiel erlernt das Kind oder der/die Jugendliche bestimmte Kompetenzen, ergründet Systeme, kann Fertigkeiten erproben und bereits Erlerntes üben und ausbauen. Im nächsten Schritt ist es wichtig, die gewonnen Erkenntnisse gemeinsam zu thematisieren, zu reflektieren und auf die Realität zu übertragen.

Neben Eltern gibt es durchaus auch Schüler*innen, die Computerspiele ablehnen. Trotzdem hat Game-based Learning mit ihrer Lebenswelt zu tun und bietet unendlich viele Ansätze und Möglichkeiten. Das bedeutet nicht, dass man alles mit Computerspielen lösen kann, aber sie können eine Bereicherung für den Unterricht sein und womöglich gelingt es damit auch, einen Zugang zu Schüler*innen zu finden, die mit herkömmlichen Methoden schwierig zu motivieren sind.“

Welche didaktischen und pädagogischen Potenziale bietet Game-based Learning?

Natalie Denk: „Das lässt sich gar nicht so leicht in aller Kürze beantworten. Wesentlich hier ist, dass es nicht nur eine bestimmte Methode, sondern zahlreiche Möglichkeiten gibt, um an Games und Gaming-Kultur im Unterricht anzuknüpfen. Die Potenziale ergeben sich einerseits bestimmt durch die unglaubliche Fülle an vorhandenen Spielen, die wiederum vielfältige Erfahrungen ermöglichen. Andererseits durch den engen Bezug zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Digitale Spiele können so Teil von so gut wie jedem Unterrichtsfach werden. Ich nenne hierzu mal drei Beispiele:

  1. Vor einigen Wochen habe ich im Rahmen eines Forschungsprojekts auf Malta einen isländischen Kunstlehrer getroffen. Er erzählte mir, dass er mit seinen Schüler*innen Spielecharaktere und Spiellandschaften entwickelt und zeichnet. Er hat festgestellt, dass dabei auch jene Kinder und Jugendlichen zu begeistern waren, die sich sonst nur schwer im Kunst-Unterricht motivieren lassen.

  2. Im Deutschunterricht könnten Erzählweisen in digitalen Spielen untersucht werden und mit klassischer Literatur verglichen werden. Auch die Textform der Nacherzählung kann basierend auf Erlebnissen in digitalen Spielwelten geübt werden.

  3. Game-based-Learning-Projekte eignen sich auch wunderbar für fächerübergreifenden, projektbasierten Unterricht. Ein Beispiel dafür wäre die Umsetzung eines Game-Design-Projekts. So könnte die Aufgabe für die Schüler*innen lauten, ein Spiel zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit zu konzeptionieren. In der Entwicklung der Spielmechaniken und Spielwelten setzen sich die Schüler*innen automatisch mit den Lerninhalten auseinander. Es muss hier auch gar nicht drum gehen, eine perfekte Spielwelt zu kreieren. Darüber hinaus erproben die Schüler*innen zahlreiche Kompetenzen, etwa im Bereich Kreativität, Teamwork, Kommunikation und Management. Das Game Design kann ganz analog in Form von Papierprototypen visualisiert werden – oder es werden Tools zur Programmierung herangezogen.

Eine super Lösung ist auch die Umsetzung von den kreativen Ideen der Schüler*innen in Minecraft. Minecraft bietet zahlreiche Möglichkeiten – und auch wenn nicht alle Kinder einer Klasse selbst Minecraft spielen, so kennen sie es doch alle. Aus einem meiner Forschungsprojekte weiß ich, dass teilweise bereits Siebenjährige begeistert Minecraft Spielwelten bauen und erkunden. Generell sehe ich den Schwerpunkt von Minecraft-Projekten im Alter zwischen sieben und vierzehn Jahren – im Teenager-Alter verändern sich die Interessen.“

Faszination Minecraft

Mit über 238 Millionen weltweit verkauften Exemplaren und bis zu 139 Millionen Spieler*innen pro Monat ist Minecraft eines der erfolgreichsten Videospiele der Geschichte (Minecraft Franchise Fact Sheet April 2021). Laut der Bundeszentrale für Politische Bildung finden Lernangebote in Verbindung mit digitalen Spielen wie Minecraft besonderen Anklang bei den Schüler*innen. In dem beliebten Sandbox-Spiel können Schüler*innen – allein oder im Team – mit einzelnen Bausteinen ganze Welten erschaffen.

Worum geht es in Ihrem aktuellen Projekt?

Natalie Denk: „Wir arbeiten aktuell an einem neuen Unterrichtskonzept: StreamIT! Im Rahmen des Projekts werden ‚Let’s Play‘-Videos erstellt. Die Frage, welches Spiel wir dafür nehmen sollen, haben viele Kinder ganz klar mit ‚Minecraft!‘ beantwortet. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Frage, welche Kompetenzen durch Produktion von Let’s Play Videos gefördert und gestärkt werden können. Dabei liegt es nahe, dass Kommunikationsfähigkeiten ausgebaut werden. Denn zu spielen und gleichzeitig das eigene Gameplay zu kommentieren, ist durchaus herausfordernd. Und es bedarf Vorarbeit, die zahlreiche Gedankenprozesse in Gang setzt: Wer ist meine Zielgruppe? Welche Teile des Spiels zeige ich? Auch technische Fertigkeiten werden durch den Umgang mit Recording-Software und Schnittprogrammen gefördert.

Unser Ziel ist es übrigens nicht, die Kinder zu professionellen YouTuber*innen auszubilden [lacht], aber wir konfrontieren sie auch mit ihren Berufswünschen und zeichnen ein realistisches Bild von Berufsbildern in der Gaming-Branche. Damit leisten wir Aufklärungsarbeit im Bereich Berufsorientierung. Wir binden ganz bewusst Role-Models in das Projekt ein, erfolgreiche Gaming-YouTuber*innen, aber auch andere Akteur*innen der Gaming-Szene.“

Wagen wir einen Blick in die Zukunft! Was sehen Sie?

Natalie Denk: „Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Interesse an Methoden des Game-based Learning immer mehr zunimmt. Neben Presseanfragen zu meiner Arbeit bemerke ich, dass meine Veranstaltungen großen Anklang finden und mehr und mehr Lehrende anlocken. Doch das muss auch auf Schulentwicklungsebene ankommen. Dafür müssen zum Beispiel Strukturen an Schulen geschaffen werden, die projektbasierten Unterricht erlauben. Natürlich hilft auch eine gute technische Ausstattung – aber an digitale Spiele und Gaming-Kultur kann auch ganz ohne Technik thematisch angeknüpft werden. Gleichzeitig sollte spielebasiertes Lernen ein Fixpunkt in der Ausbildung von Lehrer*innen werden. Doch bis es so weit ist, zeigen mir viele Beispiele von Lehrkräften, dass es möglich ist, sich zusammenzutun und Schüler*innen tolle Projekte anzubieten.“

Direkt loslegen mit der Minecraft: Education Edition!

Sie möchten mehr über die Methoden des Game-based Learning erfahren und mit Ihren Schüler*innen in die Welt von Minecraft eintauchen? Mit der Minecraft: Education Edition, die speziell für den Einsatz im Unterricht entwickelt wurde, ist das möglich. Zahlreiche Lektionen und immersive Welten warten auf Sie und Ihre Schüler*innen. In Zusammenarbeit mit dem Nobel-Friedenszentrum haben wir von Microsoft beispielsweise vor Kurzem eine neue Minecraft-Welt und einen kostenlosen Lehrplan erstellt. Praxisorientierte Schritt-für-Schritt-Anleitungen finden sich außerdem bei den Lernpfaden von Microsoft Learn.

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