Digitale Souveränität neu gedacht: Fünf Denkanstöße von der Microsoft EXPLAINED
![Foto von Tanja Böhm, Managing Director Corporate Affairs | Leiterin Microsoft Berlin](../renderingassets/personas/tanja-boehm.jpg)
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Der Wunsch nach stärkerer “Digitaler Souveränität“ bestimmt das derzeitige digitalpolitische Regierungshandeln. Ein Wunsch, den wir als Microsoft Deutschland GmbH, als deutsche Staatsangehörige, als Bürger Europas vollumfänglich verstehen. Hinter der Forderung nach Souveränität steht vor allem das Verlangen nach Unabhängigkeit von außereuropäischen IT-Konzernen und die damit verbundene Sorge um die zukünftige europäische Wettbewerbsfähigkeit. Sicherlich entspringt das Streben nach Digitaler Souveränität auch maßgeblich der dramatisch veränderten transatlantischen und geopolitischen Lage.
Niemand kann heute genau sagen, was der Königsweg ist. Wir müssen Digitale Souveränität aber wenigstens versuchen, da bin ich ganz bei Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Und wir müssen dazu im Dialog bleiben.
Daher haben wir am 28. Oktober im Rahmen unserer EXPLAINED Konferenz bei Microsoft Berlin das Thema mit Expertinnen und Experten aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft diskutiert.
Bei den Beiträgen fiel mir auf: Viele kritisieren den Begriff „Souveränität“ – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Sie verstehen ihn anders, setzen unterschiedliche Schwerpunkte bei ihren Antworten.
Das zeigt für mich: Wir müssen diese Debatte in Deutschland breiter führen und weiter führen. Wir brauchen ein klares Leitbild, wie Deutschlands und Europas Rolle in der vernetzten Welt aussehen sollen – und einen Plan, wie wir dahin kommen. Fünf Denkanstöße von der Microsoft EXPLAINED.
1. Was ist eigentlich Souveränität? Eine Herausforderung für den Westen
„Es geht nicht um EU first oder Germany first“, sagt Hinrich Thölken, der Sonderbeauftragte für internationale Digitalisierungspolitik und digitale Transformation im Auswärtigen Amt. „Wir befinden uns in einem Wettlauf und das wird nirgendwo so deutlich wie bei Künstlicher Intelligenz.“ Er kritisiert „endogene Faktoren“, die Deutschland hemmen – im Klartext: „Wir stehen uns selbst im Wege.“
Lange, komplizierte Entscheidungsprozesse oder der schleppende Ausbau der digitalen Infrastruktur seien solche Beispiele. „Wenn autokratische Regime besser Digitalisierung können, dann haben wir ein großes Problem – auch ein außenpolitisches Problem.“ In unserem pluralistischen Land mit föderalem Aufbau müssten wir nun den Beweis erbringen, dass es uns gelingt, den Ausbau der Digitalisierung genauso gut zu schaffen wie Autokratien. „Durch Deutschland muss ein digitaler Ruck gehen!“, fordert Thölken in Anlehnung an die berühmte Ruck-Rede von Alt-Bundespräsident Roman Herzog.
Durch Deutschland muss ein digitaler Ruck gehen!
Hinrich Thölken, der Sonderbeauftragte für internationale Digitalisierungspolitik und digitale Transformation im Auswärtigen Amt.
Christian Mölling, stellvertretender Forschungsleiter bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, räumt vielleicht am radikalsten mit dem Begriff der digitalen Souveränität auf. Er will ihn am liebsten gar nicht verwenden, weil dieser ein staatliches Monopol auf Entscheidungen impliziere. „Der Zug für diese Idee ist komplett abgefahren.“ Der Begriff insinuiere etwas, was der Staat gar nicht mehr leisten könne. „Das eigentliche Element dessen, worüber wir reden, sind nicht Abhängigkeiten, sondern gegenseitige Abhängigkeiten.“
Das bedeutet für ihn: Es geht nicht darum, alles allein entscheiden zu können, sondern in komplexen Situationen mitentscheiden zu können. „Mein Vorschlag: Weg vom Souveränitätsbegriff, hin zu einem Handlungsfähigkeits- und Handlungsmächtigkeitsbegriff.“
2. Abschottung bringt keine Souveränität
„Wenn man aus der physikalischen Welt, aus der ‚greifbaren‘ Welt kommt, ist natürlich der Wunsch da zu sagen, die Daten bleiben in Deutschland“, sagt Eva Schulz-Kamm, Leiterin Regierungsbeziehungen bei Siemens. Doch sie rät, dem Reflex zu widerstehen. „Daten machen nicht an irgendwelchen Grenzen halt.“ Für Deutschland, das wurde in vielen Beiträgen deutlich, birgt ein „digitaler Isolationismus“ Gefahren. Thölken bringt das Dilemma auf den Punkt: Deutschlands wichtigster Handelspartner für den Export von Waren sind die USA, für den Import China. „Wir leben davon, Produkte auszutauschen. Wenn wir sagen, dass wir alles selbst machen, wäre das ja auch ein Stopp für den Handel mit der Welt.“
Hinzu kommt, dass die digitale Ökonomie ihre eigene Logik hat, wie Aline Blankertz erklärt, die Projektleiterin Datenökonomie bei der Stiftung Neue Verantwortung ist. Bei digitalen Gütern gelte: „Je mehr sie nutzen, desto wertvoller werden sie.“ Sie spricht sich gegen allzu regionales Denken aus. „Wenn jeder sein eigenes Süppchen kochen möchte, dann haben wir hinterher weniger für alle.“
3. Für ein internationales Regelwerk ist die Politik gefordert
„Technologie ist heute nicht mehr politikneutral“ – auch diese spannende These formulierte Thölken. Technologie fordert uns nicht nur technisch und ökonomisch heraus, sondern eben auch politisch. „Mit Technologie lassen sich Menschen überwachen, Meinungsbildungen steuern und unliebsames Denken unterdrücken.“ Eine moderne Außenpolitik müsse Technologien und deren Auswirkungen daher besser verstehen, um „unsere“ Ziele wie Multilateralismus, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit international durchsetzen zu können.
Insbesondere Schulz-Kamm betont immer wieder, wie wichtig es auch für die Industrie ist, internationale Vereinbarungen für den Umgang mit Daten zu schließen. Dafür gebe es bisher keine Regeln und Standards – zugleich sei es aus Anwenderperspektive eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Das bemerke Siemens auch immer wieder in Gesprächen mit Kunden. "Viele Kunden erwarten von uns, dass sie zu jedem Zeitpunkt wissen, was mit ihrem Daten passiert." In Deutschland und Europa müssten wir „selbstbewusst unsere Anforderungen an eine vernetzte Datenwelt sicherstellen“ und bei industriellen Daten „unsere Stärke untermauern mit Regeln und Qualitätsstandards für den Datenraum.“ Dafür brauche es die Politik.
Doch nicht nur international ist die Politik gefordert, auch zu Hause: Thölken wünscht sich mehr Innovationsfreude, gerade bei der öffentlichen Hand. „Lassen Sie uns offener sein für Innovation, vor allem auch im öffentlichen Sektor. Ein bisschen mehr Ehrlichkeit, ein bisschen mehr Mut würde uns allen sehr gut tun.“ Die öffentliche Hand müsse eine starke Rolle als „Lead User für die Innovationsfähigkeit dieses Landes“ erfüllen.
4. Qualifizierung ist der Anfang von allem – und der Schlüssel zu allem
„Wir reden in Deutschland gerne über Gefahren von neuen Technologien“, sagt SPD-Generalsekretär und -Digitalexperte Lars Klingbeil. „Ich wünsche mir, dass wir politisch groß denken.“ Ihm schweben Milliardeninvestitionen vor. „Einer der großen Punkte, über die wir in Deutschland nachdenken müssen: Wie können wir die digitale Bildung ambitioniert stärken?“ Er fordert auch ein Recht auf Weiterbildung für Arbeitnehmer. „Wir brauchen Lebenslanges Lernen, ohne das als Bedrohung zu sehen – sondern als Herausbildung neuer Kompetenzen.“ Das sieht er als maßgeblich für die Frage, ob wir unseren Wohlstand auch in zehn Jahren noch haben werden.
Für Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, hat Qualifikation ebenfalls elementare Bedeutung für Souveränität. „Digitale Souveränität entscheidet sich nicht an nationalen Grenzen, sondern an technologischen Kompetenzen“, so ihre Botschaft. Sabine Bendiek hat auch unsere ganz eigene Einschätzung gegeben, die hier nochmal nachzulesen ist. Die zentrale Rolle der Qualifizierung für Souveränität ist einer der Punkte, die durchweg alle Sprecher betonen. Was auch naheliegt: Über Technologien, die man nicht versteht, kann niemand selbstbestimmt entscheiden.
Digitale Souveränität entscheidet sich nicht an nationalen Grenzen, sondern an technologischen Kompetenzen.
Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland
5. Kooperationen stärken Souveränität
„Wir dürfen auch mit anderen zusammenarbeiten – das wird uns nicht schaden!“, findet Blankertz. Ein zweiter Punkt, bei dem die Sprecher trotz aller Unterschiede breit übereinstimmen. Auch Microsoft ist offen für Kooperationen – und deshalb zum Beispiel bereit, das europäische Cloud-Netzwerk Gaia-X zu unterstützen.
Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen. Technologisch, in der digitalen Aus- und Weiterbildung, im Aufbau einer schnellen Infrastruktur. Starke Partnerschaften werden dabei helfen, die Herausforderungen gemeinsam zu meistern, und so die digitale Souveränität zu stärken.
Erstarren muss vor diesen Herausforderungen niemand. Es freut mich sehr, wie oft auf der EXPLAINED die Worte Mut, Ehrgeiz und Ambition gefallen sind. Und wie sehr alle Referenten positive Lösungswege aufgezeigt haben. „Wir sind nicht machtlos!“, stellte Mike Friedrichsen fest, der Gründungspräsident der University of Digital Science in Berlin. Gehen wir die Herausforderungen gemeinsam an!